Mittelalter trifft auf Jazz

Peter Schindlers "Perpetuum mobile" in Heidelberg aufgeführt

Rhein-Neckar-Zeitung, 17.11.2021

Die 1935 uraufgeführten „Carmina burana“ von Carl Orff wurden zu dem wahrscheinlich populärsten Werk der E-Musik im 20. Jahrhundert. Der in Berlin lebende Komponist Peter Schindler, Jahrgang 1960, hat nun das Wagnis unternommen, seinerseits 44 der 315 Lied- und Dramentexte des legendären, in Benediktbeuern aufgefundenen mittelalterlichen Codex in einer zwischen Mittelalter-Imitation und Jazz-Affinität changierenden Tonsprache zu einem „Dramma per musica“ mit dem Titel „Perpetuum mobile“ zusammenzufassen.

Der Komponist kann sich glücklich schätzen, in Jochen Woll einen Dirigenten gefunden zu haben, der sich dieses Projekts mit so viel Be- geisterung und Gewissenhaftigkeit angenommen hat. In der St. Vituskirche Handschuhsheim präsentierte er nun die öffentliche Generalprobe zur
eigentlichen Uraufführung am Folgetag in der Stuttgarter Liederhalle.
Dieser führte den stimmkräftigen und sprachlich prägnant singenden Kammerchor Baden-Württemberg, die klang- schön und subtil gestaltenden Solisten Giorgia Cappello (Sopran) und Felix Rumpf (Bariton) mit einem Jazzquartett und Mitgliedern der Kurpfalzphilharmonie zu einem technisch einwandfreien, stets lebendigen, rhythmisch zupackenden, oft auch mitreißenden Musizieren zusammen. Das Publikum goutierte das am Schluss mit Standing Ovations.

Peter Schindler ist ohne Frage ein handwerklich sicherer und fantasiebegabter Komponist, dem eine Reihe hoch interessanter Sätze gelingen und der dabei, wie etwa mit der Schlussfuge des dritten Akts, auch einige echte Leckerbissen servieren kann. Problematisch ist aber sein Anspruch, ein vieraktiges Dramma per musica zu schaffen. Denn es gelingt ihm nicht, wie etwa Carl Orff, jedem einzelnen Satz einen speziellen, einmaligen Charakter zu verleihen.
Vieles ist in Tempo, Takt und Dynamik zu ähnlich. Die Themen, die Mittelalter evozieren sollen, haben selten Wiedererkennungswert. Die Abfolge der einzelnen Nummern wirkt eher beliebig, und musikalische Verzahnungen zwischen ihnen sind kaum erkennbar. So können keine größeren dramatischen Spannungsbögen entstehen.
Für eine Gesamtspielzeit von zwei Stunden sind die Textvorlagen dann vielleicht doch auch einfach zu schlicht. Orff hat das erkannt und sich mit der halben Spielzeit begnügt. Es war sicher keine gute, ausgereifte Idee, Orffs unbestrittenes Jahrhundertwerk gerade hierin übertreffen zu wollen.

[Christoph Wagner]