Kammerchor Baden-Württemberg und Festivalorchester Winnenden beeindrucken mit Bach, Vivaldi und Rutter

Einfühlsam und blitzsauber gesungen

Waiblinger Kreiszeitung, 08.02.2019

Strahlende Chorklänge und ein Orchester, das aus der Begleitfunktion herauswächst und auf Augenhöhe agiert; imposante Klangtürme und in sich versunkene Momente – das bot das Konzert mit dem Kammerchor Baden-Württemberg und dem Festivalorchester in der Schlosskirche.
Den Auftakt macht das „Gloria“ von Antonio Vivaldi. Straffe Streicherfiguren und perlende Bläsermotive vermitteln eine erhabene Größe; ständiges Auf- und Abschwellen der Töne ruft eine fast mit Händen zu greifende Lebendigkeit hervor. Über sanft pochenden Orchesterbässen spannen sich scheinbar endlose Vokallinien. Es nimmt nicht Wunder, dass dieses „Gloria“ bis heute Vivaldis beliebtestes Kirchenmusikwerk ist. Jochen Woll zeigt als Dirigent des Kammerchors und des Festivalorchesters Winnenden vollen Körpereinsatz, teilweise scheint er zu tanzen. Seine Absicht ist klar: Er will die dynamischen Kontraste im Extrem ausreizen, der musikalischen und damit verbunden auch der textlichen Aussage größtmögliche Plastizität verleihen. Das gelingt ihm sehr gut – auch, weil alle seine Vorgaben präzise lesen und umsetzen.
In der Sopranarie, die beruhigend und wiegend ausfällt, spielen Oboe und Fagott eine prominente Rolle, darauf folgt ein beschwingt-tanzender Chorsatz. Diese häufigen Charakterwechsel beleben das Werk ungemein – und fordern ein Höchstmaß an Flexibilität und Einfühlungsvermögen. Inniglich-anbetende Passagen mit seufzenden Pausen, schmerzlich herbe Harmoniegänge und ungeduldiges Flehen zu Gott werden schön ausgeleuchtet. Wenn kurz vor Schluss die Instrumente einmal schweigen, hört man die blitzsaubere Intonation und die stimmliche Ausgewogenheit des Kammerchors besonders deutlich.

Souveräne Solisten: Anne Roser (Geige) und Michael Kiefer (Oboe)
Es folgt das Doppelkonzert von Johann Sebastian Bach mit den Solisten Anne Roser (Violine) und Michael Kiefer (Oboe). Beide erfüllen ihren Part souverän, immer um Differenzierung und Gestaltung bemüht. Das Werk trägt eine wehmütige Grundstimmung. Im Mittelsatz (Andante) zupfen alle Streicher außer dem Cello die Saiten, alles Erdengetümmel scheint in Demut stillzustehen. Der Schlusssatz (Allegro) zeichnet sich durch ein prägnantes Thema aus, die Musik gleicht einem unablässig weiterfließenden Strom.

Akteure lassen große Freude an Rutters „Magnificat“ spüren
Das „Magnificat“ des Engländers John Rutter, vor 29 Jahren in der New Yorker Carnegie-Hall uraufgeführt, hat seither einen unaufhaltsamen Siegeszug durch
die Welt angetreten. Seine Musik ist farbenfroh, manchmal knapp an der Grenze zur Süßlichkeit. Rutter bedient sich souverän der Stile und Genres: Gregorianik trifft Filmmusik, Pop geht in Musical über und dann sind da noch die lateinamerikanischen Einschläge, die sich unter anderem im Percussionbereich auswirken. All das publikumswirksam verschmolzen und reich an Stimmungs- und Farbwechseln. Das um etliche Bläser vergrößerte Orchester hat seine Freude, ebenfalls der Chor und der Leiter Jochen Woll, er lebt und belebt jede Nuance. Nachdem zu Beginn des „Magnificat“ Heiterkeit herrscht, dominiert in „Of a Rose, a lovely Rose“, einem Mariengedicht aus dem 15. Jahrhundert, eine entrückte Zartheit und eine anrührende Gefühlswärme. Wirbelnde Pauken, Bläserglanz und eine leidenschaftliche Latino-Fuge werden immer mehr zu einem vielstimmigen Lob an den Schöpfer gebündelt: „Meine Seele preist den Herrn“.

[Christoph Rothfuß]