Ein Chorkonzert der Extraklasse

Der Kammerchor Baden-Württemberg gastierte mit seinem neuen A-cappella-Programm in der katholischen Kirche Maria Königin in Kirchheim. Ein Abend zwischen Verzweifeln und Hoffen.

Kirchheimer Zeitung, 15.03.2017

Ein Chorkonzert der Extraklasse
Der Kammerchor Baden-Württemberg gastierte mit seinem neuen a cappella Programm in der katholischen Kirche Maria-Königin. Um es gleich vorweg zu sagen, es war ein außergewöhnliches , wenn nicht sogar spektakuläres Hör-und Klangerlebnis. Aber der Reihe nach.
Die Programmüberschrift „Ach Herr“ erweckt zunächst eher bescheidene Erwartungen. Doch dahinter verbarg sich ein musikalischer Spannungsbogen der tiefsten seelischen Empfindungen. Von größter Verzweiflung bis zur hoffenden Gewissheit. Zusammengehalten durch Komponisten, die alle mit dem Altmeister der Chormusik Johann Sebastian Bach eine verwandtschaftliche oder eine innere Verbindung der Verehrung besaßen. Gleich das erste Werk „Unser Leben ist ein Schatten“ von Johann Bach, einem Onkel von Johann Sebastian Bach, ließ aufhorchen. Mit einer unglaublichen Leichtigkeit und Klarheit erklang dieser fünfstimmige Satz, immer wieder durchbrochen von überirdischen Echorufen aus jenseitigen Gefilden. Auch im nächsten Chorsatz von Johann Christoph Bach, „Fürchte dich nicht,“ bestach der Chor durch eine vortreffliche Präzisierung und Deklamation des Textes. Beginnend mit hämmernden Staccatoachteln, endete der Schlusschoral dann im trostreichen Legatoklang. Das alles ist sicher auch das Verdienst des Chorleiters Jochen Woll. Sein Dirigat ist eine eigene Aufführung wert. Mit weit ausschwingenden Bewegungen tanzt er am Dirigentenpult eine eigene sehenswerte Choreographie zur Musik.
Die anschließende doppelchörige Bachmotette „Komm, Jesu komm“ überzeugte besonders durch ihre durchscheinende Transparenz. Jede Stimme hellwach und immer präsent. Beim nächsten Werk des vor zwei Jahren verstorbenen norwegischen Komponisten Knut Nystedt „Komm süßer Tod“ kam es zu einer weiteren Zellteilung. Vier Chorformationen positionierten sich an allen vier Seiten der Kirche. Und nun begann ein unglaubliches Klangexperiment. Was da geschah, lässt sich kaum beschreiben, eigentlich nur erleben. Alle vier Gruppen sangen den Choral „Komm süßer Tod“ von J.S.Bach. Allerdings jeder in einem anderen Zeitmaß. Die entstehenden Reibungen erzeugten dabei in ihren Dissonanzen einen sphärischen Klangteppich, über dem tatsächlich ätherisches Glockengeläut zu hören war. Kein Hörer, der dabei nicht innerlich ergriffen wurde. Möglich war das nur aufgrund einer grandiosen sängerischen Leistung, Töne über mehrere Takte ohne Intonationsverlust zu dehnen, zu verdichten und die Spannung bis zum Schlusspunkt zu halten. Die Reaktion entlud sich zu recht im spontanem Beifall.
Bei den folgenden drei doppelchörigen Brahmsmotetten,
„Ich aber bin elend /Ach arme Welt / Wenn wir in höchsten Nöten sind“, brillierte der Chor durch ausgewogene Homogenität und einer elementaren Musizierfreude. Beide Chöre steigerten sich im gegenseitigen Wettstreit über die falsche Welt mit ihrer Angst und Not und der Bitte zum ewigen Frieden.
Den grandiosen Schlusspunkt setzte die fünfstimmige Mottete „Ach, Herr, strafe mich nicht“ von Max Reger, die wegen ihrer immensen Schwierigkeiten selten zur Aufführung gelangt. Sie besteht aus drei Teilen. Beginnend in gregorianischer Einstimmigkeit erfolgt dann im Wechsel der Stimmen eine flehende, klagende Bitte, um Vergebung und Trost. Im zweiten Teil, einer anrührenden schlichten Melodie in vollendeter Harmonie, gibt es dann kein Aufbäumen und Hadern mehr. Der Mensch ist in Gottes Behutsamkeit zur Ruhe gekommen. Der dritte Teil, im Lobpreis des Herrn, entfaltet sich dann eine Fuge von ungeheurem Ausmaß. Sie scheint kein Ende nehmen. In der für Reger typischen chromatischen Polyphonie türmen sich die Tonfolgen übereinander, verschwinden wieder im polyphonen Dickicht, um dann an anderer Stelle wieder aufzublitzen. Ohne Pause zum Innehalten, ohne Verschnaufen schwillt der Klang immer mehr an bis zum Schlusscrescendo furioso. Die vertrackten chromatischen Tonfolgen, die ungewohnten Intervallsprünge, die rhythmischen Finessen, das alles meisterte der Kammerchor scheinbar mühelos mit einer leidenschaftlichen Musizierfreude auf höchstem musikalischem Niveau. Die Begeisterung und der Applaus am Schluss wollten kein Ende nehmen. Gut zu wissen, dass der Chor in einem halben Jahr am 24.September in Kirchheim wieder konzertieren wird. In einer gelebten Ökumene wird dieses Konzert in der evangelischen Christuskirche stattfinden.

Hartmut Schallenmüller