Verkannter Meister

Junger Kammerchor mit Jan Dismas Zelenka

Rhein-Neckar-Zeitung, 12.11.2014

Mit unerbittlichem Bogenstrich werden die massiven Ausrufe wie in der Art eines Vorwurfes heruntergegeigt, gleichzeitig schwingt aber auch ein Gefühl des Selbstzweifels mit, was vom Chor mit ausgeprägter Härte beantwortet wird. Spielt dies etwa auf Jan Dismas Zelenka selbst an, dem Zeitgenossen Bachs, der mit seiner Kirchenmusik meist überhaupt kein Gehör fand und dessen dem Tod August des Starken gewidmetes Requiem nicht einmal in der höfischen Chronik erwähnt wurde? Er selbst empfahl sich Gott nämlich oft als sein demütigstes und unwürdigstes Geschöpf.

Der Junge Kammerchor Baden Württemberg setzte nun die erst vor 40 Jahren richtig in Gang gekommene Zelenka-Renaissance in der St. Raphaelskirche in Heidelberg-Neuenheim fort mit dessen „Miserere“, das fast schon als Tragödie interpretiert wurde. Bis in die untersten Tiefen eines Klanges wurde diese Bedeutungsschwere ausgekostet, wo die Musiker wie an den Gedanken ihres Chorleiters Jochen Woll entlang sangen, wenn dieser einmal den Blick in die Ferne richtete, die Brust vor Stolz anschwellen ließ oder erstarrte Gemüter zum Auftauen bewegte. Zugleich bewies Woll auch große Qualitäten als Orchesterdirigent, wenn er das Barockorchester Collegium Musicum Stuttgart in starke Gefühlsschwankungen hineinzog, welche sogleich in den Streicherpulten mit enormer Aussagekraft erwidert wurden. Nach all dieser Zerrissenheit bescherte die Oboistin dieses Klangkörpers einige Momente des Aufatmens, als sie sich vielleicht etwas zu langatmig dem Oboenkonzert Carl Philipp Emanuel Bachs widmete, wobei sie bewusst auf übermäßige Dramatisierung verzichtete. In diese Stimmung passte auch die sehr offene und direkte Tonansprache ihres Originalinstrumentes, das auch den Luftstrom und die Fingerfertigkeiten gelegentlich etwas aus der Kontrolle geraten ließ.

Für Zelenkas „Missa omnium sanctorum“ kehrte der Chor dann zur gleichen Vehemenz wie zu Beginn zurück mit einer vortrefflich ausgereiften Ergriffenheit der Seele. Vorgelebt wurde dies vom Dirigenten, der eine enorme Synthese zu jedem Klang einging, indem er diesen so fest in der Hand hielt, dass man sich ein frühzeitiges Loslassen gar nicht erst vorstellen wollte. Durch die Besetzung der solistischen Passagen mit eigenen Chormitgliedern wurde dem Publikum nicht nur durch die unterschiedlichen Stimmcharaktere Abwechslung geboten, sondern auch ein Einblick in dieses Ensemble gegeben, das sich mit vielen überzeugenden Solisten immer wieder an solch entdeckungsreiche Projekte heranwagt.

von Simon Scherer