Im Liebesgarten

Schwäbisches Tagblatt, 06.05.2013

Bei einem großen Teil der aktuellen Kirchenmusik im Pop-Stil, bei den meisten Jazz- und Gospel-Messen enttäuscht die Beliebigkeit und Aussagelosigkeit des musikalischen Materials. Nicht selten ist das Jazz-Vokabular stereotyp und unspezifisch. Eine bemerkenswerte Ausnahme­erscheinung ist der "Song of Praise" (2011) des 1965 geborenen Karlsruher Komponisten und Jazz-Dozenten Peter Lehel. Die acht Sätze vertonen das Hohelied im Wortlaut der englischen King-James-Bibel von 1611 auf originelle und erfindungsreiche Weise. Lehel gelingt ein zeitgemäßer Ausdruck für die sinnlich- erotischen und metaphysischen Ebenen des bildhaften Textes, ohne in abgenutzte Klischees zu verfallen. Dabei erneuert und bereichert er die Klangsprache des Jazz durch einen fundierten Rückgriff auf divergierende Stile und Satzmodelle. Der dritte Satz "Wandering Dreams" beginnt etwa mit einer A-cappella-Fuge.
In der Motette am Vorabend des Sonntags Rogate erlebten über 350 Zuhörer den "Song of Praise" in der Uraufführungsbesetzung: Der Junge Kammerchor Baden-Württemberg unter Jochen Woll musizierte mit dem Peter-Lehel-Jazzquartett (Peter Lehel, Saxophon; Ull Möck, E-Piano; Dirk Blümlein, E-Bass;• Dieter Schumacher, Schlagzeug).
Das erste Stück öffnete sich schwärmend, in verführerischen Perlmuttfarben schillernd; der Chor­satz solistisch aufgebrochen, in dicht gefügten Einsätzen. Das E-Piano klang mit seinem schwirrend changierenden Timbre fast wie ein Vibraphon. Saxophon und E-Bass flochten sich in den Chorsatz ein.
  Geschickt waren die Band-Soli integriert, wenn etwa das Saxophon im fünften Satz "Midnight Desire'' seinen Ton durch Überblasen in sehn- süchtig klagende Mehrfachklänge aufspaltete oder bei der Schilderung des nächtlichen Liebesgartens ausgelassen wilde Loopings drehte.
Auch für den filigranen Chorsatz findet Lehel eingängige, treffende Melodien. Zudem hat er ein gutes Gespür für Timing und formale Balan­ce. In den 50 Minuten Aufführungsdauer gab es keine Redundan­zen, dafür umso mehr Überraschun­gen. Am schwächsten wirkte der siebte Satz "Shulamite's Dance", der sich etwas solitär an hebräische Volksmusik anlehnte. Rhythmisch und klanglich sensibel gestaltete der Chor, wobei er mit seinen 24 Stimmen mitunter im anschwellenden Band-Sound verschwand.