Ein Stück realisierte Utopie

Junger Kammerchor sang in der Heidelberger St. Vituskirche Werke von Heinrich Schütz und Johann Hermann Schein

Rhein-Neckar-Zeitung, 05.02.2013

Im Zentrum des Konzerts des Jungen Kammerchores in der St. Vituskirche Heidelberg-Handschuhsheim standen Heinrich Schütz’ „Musikalische Exequien“, eine Komposition, die Schütz im Auftrag seines Landesherrn Heinrich Posthumus Reuss für dessen eigene Be- erdigung geschrieben hatte. So hatte dieser auch die verwendeten Bibelverse selbst ausgewählt. Wenn Trost in diesen Texten durchweg als eine Hoffnung aufs Jenseits thematisiert wird, so ist es doch ein Trost für die Diesseitigen, der sich in der Komposition zeigt: Solisten aus dem Chor und das Tutti des Chores wechseln sich ab, indem sie gegenseitig die gesungenen Bibelversen mit weiteren beantworten.

In dieser Struktur wird eine Vereinzelung deutlich, die sich auch in der Polyphonie der solistischen Passagen zeigt. Diese Vereinzelung führt aber nicht zu Verlorenheit oder zusammenhanglosem Auseinanderklaffen, sondern fügt sich zu einem größeren, versöhnenden Ganzen, sowohl in der Abfolge der verschieden besetzten Teile als auch gleichzeitig in der Verwobenheit einzelner Stimmen.
Der von Jochen Woll geleitete Chor schaffte es, auf dem Fundament des Bas- so Continuo (Christine Seegers, Violoncello; Heike Hümmer, Violone; Andreas Scheufler, Orgel) diese Struktur beein- druckend klar herauszuarbeiten, und konnte dabei zeigen, welche überzeugenden solistischen Qualitäten die Sänger des Ensembles besitzen. Durchweg filigran und mit ausgewogener Stimmführung nahmen die Sänger auch mit der Ausführung anspruchsvoller Koloraturen für sich ein. So hörte man geradezu, wie die Wolle sich kräuselte, als es im Text bildhaft hieß: „Wenn eure Sünde gleich blutrot wäre, soll sie doch schneeweiß werden, wenn sie gleich ist wie rosinfarb, soll sie doch wie Wolle werden.“
Den vollen Klang bei gleichzeitiger Herausarbeitung der Kompositionsstruktur, beweglicher Phrasierung und deutlicher Sprache konnte man schon zu Beginn des Konzerts hören, in drei Motetten aus Johann Hermann Scheins „Israelsbrünnlein“. Hier allerdings waren anfangs auch einige intonatorische Schwächen festzustellen, vor allem beim Sopran, die sich aber bald legten.
Verbunden wurden Schütz und Schein durch die von Scheufler an der Orgel gespielte, teils recht virtuose „Fantasia Chromatica“ von Jan Pieterszoon Sweelinck. In ihr wurde das Potential der mitteltönigen Stimmung deutlich, gezielter als in der wohltemperierten Stimmung rein und nicht rein klingende Akkorde einzusetzen, um so mit Spannung und seliger Entspannung spielen zu können, wie Woll dem Publikum erklärte.
Indem aber Spannung und Entspannung letztlich zu einem stimmigen Ganzen gefügt waren, wurde erneut die erwähnte Kraft zur Versöhnung in der Musik deutlich. So ist ein gelungenes Musikstück wie auch ein gelungenes Konzert vielleicht immer ein bescheidenes Stück realisierter Utopie, weil es in seiner eigenen Logik auch den spannungsvollen und dunklen Teilen des Stückes Sinn stiftet.

von Theresa Roelcke