Britten zum 100.

Kehrwoche in Bethlehem

Stuttgarter Nachrichten, 02.12.2013

Benjamin Britten (1913–1976) war neben Komponisten wie etwa Leos Janácek und Jean Sibelius einer der ausdauerndsten und erfolgreichsten Schwimmer gegen den Strom. Jenseits aller Dogmen der musikalischen Avantgarde wählte er für jedes Werk den Ausdruck und den Stil, der ihm am passendsten erschien – und fand seine künstlerische Heimat vor allem dort, wo er selbst zu Hause war: bei den englischen Vokalmusik-Traditionen. Vielleicht ist eben dies auch der Grund, warum Britten trotz etlicher Feiern zu seinem 100. Geburtstag in diesem Jahr hierzulande immer noch viel zu wenig aufgeführt wird. Umso erfreulicher war es also, dass der Junge Kammerchor Baden-Württemberg dem Komponisten am Samstagabend in der Leonhardskirche einen ganzen Abend widmete.
Schlichtes, Inniges war darunter: Brittens doppelchörige „Hymn to The Virgin“ von 1931 sang der Chor rechts und links der Zuhörer im Kirchenschiff als feines Hin und Her von Frage und Antwort. In „A Ceremony of Carols“ (von 1942) überwogen dann, lebendig und genau begleitet von Marlene Angerer an der Harfe, die volkstümlichen Elemente, und die Klarheit von Jochen Wolls Dirigieren spiegelte sich im sehr durchsichtigen, genauen Singen des ausgeglichen besetzten Chores wider.
Nur die Tatsache, dass die Soprangruppe gelegentlich eine Spur zu tief intonierte, trübte das Klangbild ein wenig, und die Aussprache der englischen Sprache wirkte zumal bei den Männerstimmen ab und zu doch allzu deutsch. Im Gegenzug glänzte das Ensemble aber etwa bei „As Dew in Aprille“ mit Phrasen von großer Leichtigkeit, ja Schwerelosigkeit, und schön hatte man auch die zunehmende Verdichtung des Stimm¬geflechts bei „This Little Babe“ herausgearbeitet. Hinzu kommt ein eindrucksvoller Rahmen: „A Ceremony of Carols“ beginnt mit einem feierlichen Einzug des Chores und endet auch mit einem solchen; gesungen wird dazu einstimmig ein gregorianischer Choral.
Als spannendstes Werk des Abends entpuppte sich indes der Zyklus „A Boy Was Born“ (von 1933), denn hier geht es in einem Thema und sechs Variationen einmal nicht um herkömmliche Krippen-Idylle mit Ochse, Esel, Hirten und singender Engelsschar, sondern um eine sehr handfeste, oft richtig witzige Einbettung des Weihnachtsgeschehens in den (bäuerlichen) Alltag. Zur Vorbereitung des Weihnachtsfestes wird da gekocht, gegessen, gepflanzt und geerntet, die züchtige Hausfrau schwingt den Lappen, und die Worte „Hosanna“ und „Prost“ ertönen fast in einem Atemzug.
Oft schwebt – ätherisch schön, manchmal fast ein bisschen kitschig – ein Solosopran über dem Chor, die Tonalität ist auf freundliche Weise erweitert, man hört die englische Madrigaltradition, unter den Melodielinien tönen archaisch wirkende Quinten, Liegetöne oder wiederholte Bassfiguren. Die fünfte Variation ist im Chor noch nicht bis ins Detail durchgearbeitet, da kleben die Sänger noch allzu sehr an den Noten. Der Rest ¬jedoch ist süffiger Wohlklang.

von Susanne Benda