Kein Zimmerbrunnengeplätscher

Junger Kammerchor sang Bachs „Weihnachtsoratorium“

Rhein-Neckar-Zeitung, 08.12.2010

Mit einem strahlenden, in der Tat jauchzenden und frohlockenden Eingangschor eröffneten der Junge Kammerchor Baden-Württemberg und das Barockorchester „L’arpa festante“ die Aufführung der Kantaten I und IV-VI des „Weihnachtsoratoriums“ von Johann Sebastian Bach in der Heidelberger Raphaelskirche. Jochen Woll dirigierte auf liebevollste Weise tänzerisch, präzise und differenziert. Einen sehr artikuliert erzählenden Evangelisten gab der Tenor Georg Poplutz ab. Er demonstrierte bei der Tenorarie „Ich will nur dir zu Ehren leben“ in der vierten Kantate aber auch, dass seine Stimme ein hohes dramatisches Potential besitzt, und interagierte dabei gut mit den beiden obligaten Geigen, die ihr Fugenthema spielten, als handele es sich um kleine Raketen, die gerade gezündet würden.
Alexandra Rawohl, die Altistin, ging mit ihrer warmen Stimme leider etwas im Orchester unter, forderte Zion aber in schönem Zusammenspiel mit dem Orchester auf, sich auf Jesu Ankunft vorzubereiten. Sehr überzeugend war die Sopranistin Monika Mauch mit ihrer klaren, direkten und gleichzeitig vollen Stimme. Sie beeindruckte sowohl allein, als auch gemeinsam mit dem Bassbariton Markus Flaig oder der Echosopranistin aus dem Chor und der Oboe in der Echoarie der vierten Kantate. Ein sauberes Pingpongspiel zu dritt war dieses Stück.
Markus Flaigs kernige, bannende Stimme war ebenfalls mehr als angemessen (so zum Beispiel auch seine Gestaltung von Herodes’ Lachen im Rezitativ).
Der Chor sang mit sehr gefasstem, gedrungenem und kräftigem Klang, durchweg sicher und präzise, selbst bei kompliziertesten Fugen. Durch die gute Artikulation hätte man beinahe den Text im Programmheft nicht mehr benötigt. Die Kondition der Sänger ließ zu, dass sie den Schlusschoral mit genauso viel Energie aufführen konnten wie den Chor zu Beginn.
Mit „L’arpa festante“ war ein lebendiges Orchester zugegen, das durchweg die Aktualität und Modernität von Bachs Musik herauskitzelte, indem es auf (im positiven Sinne) fast provokative Weise die Dissonanzen und Originalitäten auskostete.
So entstand eine Interpretation des „Weihnachtsoratoriums“, die nichts mit dem Zimmerbrunnengeplätscher anderer Aufführungen gemeinsam hatte, sondern Aufmerksamkeit einforderte, und das Publikum mit einem originellen und äußerst musikalischen Resultat belohnte.

Von Teresa Roelcke