Von Gott ist nie die Rede

Junger Kammerchor singt Hoheliedvertonungen

Stuttgarter Nachrichten, 27.09.2010

Das Hohelied ist ein rätselhaftes Segment der Bibel: Acht Kapitel lang erzählt ein junges Paar von verzehrender Liebe. Von Gott ist dabei nie die Rede. Um es in der Bibel unterzubringen, haben es schlaue Menschen einfach König Salomo zugeschrieben. Tatsächlich traute sich iemand, Gedichte dieses Gottgefälligen wieder aus der Bibel zu eliminieren.

Die poetische und erotische Kraft dieser Texte haben abendländische Komponisten fast aller Epochen zu herrlicher Musik inspiriert. Eine kleine Auswahl an A-cappella-Vertonungen sang am Samstag der Junge Kammerchor Baden-Württemberg in der Leonhardskirche:
Unter der Leitung und gewinnbringenden Moderation von Jochen Woll, der den Chor vor 25 Jahren gründete, entfaltete das 22-köpfige Ensemble vor allem in romantischen Hohelied-Kompositionen wie Edvard Griegs melancholischem „Hvad est du dog skjön“ und Edward C. Bairstows prächtig schillerndem „I sat down under his shadow“ satte Klanglichkeit und vibrierende Farben.

Aber auch die rhythmisch changierenden Werke der Renaissance-Meister Leonhard Lechner und Estêvão de Brito ließen die Ohren in Klang baden, selbst wenn es hier gelegentlich ein wenig in Intonation und Präzision wackelte. Eine Rarität brachte man mit den „Western-Tunes“ von William Billings, einem amerikanischen Gerber, der als Autodidakt mit seinen Chorwerken einst das amerikanische Barock einläutete, zum Klingen: rhythmisch und folkloristisch inspirierte Stücke, die gepflegte Planwagenidylle verströmten.

Und auch das 20. Jahrhundert präsentierte sich von seiner sinnlichen Seite: von kathedraler Schönheit Stephen Chatmans fließendes „You have ravished myheart“, abwechslungsreich und mit unterschiedlichen Stilen arbeitend „Shir Hashirim Perek Gimel“ des israelischen Komponisten Yehezkel Braun.

Ein schönes Programm, inspiriert vorgetragen!

(Verena Großkreutz)