So klingt der Himmel

Junger Kammerchor Baden- Württemberg in St. Vitus

Rhein-Neckar-Zeitung, 23.09.2009

Groß ist das tonale Spektrum, das sich zwischen Gregorianik und Neuzeit erstreckt. Und auf berauschende Weise gegenwärtig wirkten die ambrosianischen Lobgesänge für sechsstimmigen, vierstimmigen oder Doppel-Chor à cappella, die der Junge Kammerchor Baden-Württemberg in der St.-Vitus-Kirche in Heidelberg-Neuenheim erklingen ließ. Insgesamt vier verschiedene Versionen des „Te Deum laudamus“ interpretierte das durch stimmliche Reinheit und Klangfülle überzeugende Ensemble unter der Leitung von Chorleiter Jochen Woll. Dazu gab es zwei Psalmen des (norddeutschen) Barock.
Ein Gang durch fünf Jahrhunderte geistlicher Musik war das, voller Spannungsbögen, radikal Gegensätzlichkeiten und makelloser Intensität. Mit Orlando di Lassos alter, beruhigender, gleichsam ewig dahinfließender melodischen Lyrik der Hochrenaissance eröffneten die Sänger das Konzert, unmittelbar gefolgt von einemWerk der Maximalbegriffe.
Ruth Zechlins „Te Deum laudamus“, das sein melodisches Gefüge streng architektonisch über einem Grundton mit Terz und None aufgebaut, offenbart nicht nur die gelehrige Schülerin eines Johann Nepomuk David. Ein elegantes Werk ist es: zart, geschmeidig und präzis auf der einen, kraftvoll, stürmisch und dynamisch über allen Extremen schwebend auf der anderen Seite. Balladesk, dramatisch und gänzlich ohne Ironie mutet das Werk dem Zuhörer ein Echo seiner Zeit zu, das unverstellter kaum sein könnte.
Dass sich das Ohr, die Seele des Publikums nach diesem emotional aufrüttelnden Grenzgang der musikalischen Moderne in den barocken Akkorden des „Te Deum“ von Antonio Caldara erholen durfte, war klug erwogen. Und tatsächlich: Die zutiefst berührende Einfachheit der Akkorde aus Caldaras Lobpreis verfehlte nicht ihreWirkung und machte ein befreites Durchatmen wieder möglich, ebenso wie Heinrich Schütz’ Vertonung des Psalms 98 „Singet dem Herrn“, SWV 35. Ein „musicus poeticus“, musischer Dichter oder dichtender Musiker, wurde Schütz zu seiner Zeit genannt, und dass dies stimmt, bewies der Doppelchor jauchzend und gleichsam mit Pauken und Trompeten. Dass sich diese Klangmalereien noch von der groß angelegten Koloraturpassage „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn“ aus Bachs „Singet dem Herrn“, BWV 225, toppen ließen, bleibe freilich nicht unerwähnt. Denn hier verlor das kultivierte Publikum zur allseitigen Freude seine Contenance und machte seinem Beifall in einem brachialen Applaus Luft. Mendelssohns „Te Deum laudamus“ hätte es da schon gar nicht mehr bedurft. Mit seinem Zuspruch zeigte das Publikum deutlich: So oder ähnlich klingt der Himmel.

Von Astrid Mader