Faszinierende Gestaltung

Der Junge Kammerchor des Landes in der Stiftskirche

Schwäbisches Tagblatt, 09.10.2006

Nach längerer Pause war der Junge Kammerchor Baden-Württemberg wieder einmal in der Stiftskirche zu hören. Unter seinem Leiter Jochen Woll vermittelte er in der Motette vom Samstagabend ein vielseitiges, aber durchaus einheitliches Programm, auf dem sich Kompositionen aus drei Jahrhunderten befanden. Dass eine Reihe von Psalmvertonungen dabei war, verhalf ihm zu einer sinn spendenden Einheitlichkeit. An der Motette „Warum ist das Licht gegeben" (op. 74,1) von Johannes Brahms, deren Texte (Hiob, Klagelieder Jeremias, Jakobus 5,11 und Luther) sich der Komponist selbst zusammengestellt hatte, demonstrierten die Sängerinnen und Sänger ihre Fähigkeit, differenziert zu gestalten, höchst eindrucksvoll. Bei dem folgenden Werk, der Motette „Der Geist hilft unser Schwachheit auf" (BWV 226) von Johann Sebastian Bach, offenbarte sich die Virtuosität der Interpreten noch in stärkerem Maße. Selbst im dichtesten Tongefüge blieb der Klang transparent, und es herrschte allenthalben das Gleichgewicht zwischen Sprache und musikalischer Verwandlung. Von dem in letzter Zeit vermehrt berücksichtigen Schweden Knut Nystedt (geboren 1915) stammte ein „Immortal Bach" (Unsterblicher Bach) genanntes Stück über „Komm, süßer Tod, komm sel'ge Ruh", dass sich nicht gerade durch besondere Originalität auszeichnete. Wichtiger erschien dagegen ein Opus des amerikanischen Außenseiters Charles Ives (1874 bis 1954), der den 67. Psalm „Gott sei uns gnädig" auf die ihm eigene unkonventionelle Weise umsetzte. Weiter ging es mit Felix Mendelssohn-Bartholdys späte Vertonung des 22. Psalms, „Mein Gott, warum hast du mich verlassen" (op. 78,3) deren Wiedergabe an klanglicher und gestalterischer Beziehung alle Erwartungen übertraf. Ein in jeder Hinsicht anspruchsvolles Werk, nämlich „Ach Herr, strafe mich nicht mit deinem Zorn" (op. 110,2) von Max Reger fand durch Jochen Woll und seinen Chor eine Realisierung, wie man sie sich ausgewogener und musikalisch differenzierter nicht vorzustellen vermochte. Kein Wunder, dass die Zuhörer begeistert klatschten - so lange, bis die Gäste eine Zugabe gewährten: die Wiederholung des Regerschen Schlusschorals „Herzlich lieb habe ich dich, Herr, meine Stärke".