Musikalische Pilgerreise spannend interpretiert

"Missa" begeistert bei den Mannheimer Bachtagen

Mannheimer Morgen, 20.01.2004

Während der „Missa“ des Stuttgarter Organisten und Komponisten Peter Schindler entsteht mehrfach im Zuhörer das Bild einer Prozession. Der Zug der Betenden scheint sich aus der Ferne zu nähern, eine Weile stehen zu bleiben und sich wieder in Bewegung zu setzen; Gesang und Instrumentenspiel klingen dann ganz leise aus. Es wird der Eindruck geweckt, als wanderten die Pilger im Verlauf dieser Messe für Chor und Orgel, Saxofone und Percussion von Station zu Station, um ihre Glaubens-Standpunkte einer Prüfung zu unterziehen. Und gleichzeitig unternehmen sie einen Gang durch die Musikgeschichte, indem sie zwischen verschiedenen Stilrichtungen hin und her pendeln.

Dieser Beitrag zu den Mannheimer Bachtagen in der Johanniskirche wurde vom Publikum hellauf begeistert aufgenommen. Dafür dürfte es vielfältige Gründe geben. Zum einen regt das Nebeneinander von Jazz-Improvisationen, gregorianischem Choral, barocker Polyphonie und Pop-Einsprengseln zum Überprüfen der Hörgewohnheiten und -erwartungen an. Zum anderen geht die Vertonung des lateinischen Textes teilweise unorthodoxe Wege, sodass der Inhalt neue Aufmerksamkeit auf sich zieht: Das wiederholte Sanctus (Heilig) zum Beispiel ist als dreifacher Aufschrei komponiert, dem unmittelbar eine gefällige Melodie aus Puccinis Oper „Tosca“ folgt. Wie auch immer man dieses Aufrütteln und Besänftigen deuten mag, es provoziert auf jeden Fall Fragen, vielleicht auch Widerspruch.

Ein weiterer Grund für den großen Beifall liegt sicher in der spannenden Interpretation des Jungen Kammerchors Baden-Württemberg und des Trios „Pipes and Phones“. Für diese beiden Ensembles hat Schindler seine Messe geschrieben. Der technisch einwandfrei geschulte Chor gestaltete diese imaginäre Pilgerreise unter der Leitung von Jochen Woll anpassungsfähig als Festzug, Bittgang, Reifeprozess religiöser Einsichten und Bekenntnis eines gestärkten Glaubens. Das mit Schallplatten- und Wettebewerbspreisen ausgezeichnete Trio bekommt ebenfalls abwechslungsreiche Funktionen zugewiesen. Der Komponist selbst setzte die Orgel wie eine Verwandlungskünstlerin ein, sowohl bei der Chorbegleitung als auch in Dialogen mit Markus Faller am Schlagzeug und dem Saxofonisten Peter Lehel. Als überragender Solist sprengte Lehel den Rahmen einer katholischen Messe. Er vereinte Europäisch-Traditionelles mit dem afroamerikanischen Jazz und jüdisch-orientalischen Weisen zu Weltmusik.

Monika Lanzendörfer