Über allen Konfessionen

"Junger Kammerchor" unter Jochen Woll mit Bachs h-moll-Messe

Rhein-Neckar-Zeitung, 26.03.2003

Bachs h-moll-Messe ist ein überkonfessionelles Meisterwerk im Spannungsfeld von Tradition und Vision. 1811 schrieb Zelter in einem Brief, dass die Messe "wahrscheinlich das größte musikalische Kunstwerk ist, das die Welt gesehen hat". Der Schweizer Musikschriftsteller Nägeli bezeichnete, entsprechend den Vorstellungen der klassisch-romantischen Epoche, die katholische Messe, geschaffen von einem lutheranischen Komponisten, als ein Werk "über allen Konfessionen".
Unter der Leitung von Jochen Woll wurde Bachs Werk nun mit großem Erfolg in der Heidelberger Peterskirche aufgeführt. Ganz vorzüglich präsentierte sich das Barockorchester aus München, "L'arpa festante", mit seinem höchst aufmerksamen Konzertmeister Christoph Hesse und beeindruckenden Leistungen aller Musiker auf Originalinstrumenten. Stellvertretend sei etwa Raphael Vosseler (Naturhorn) herausgegriffen.
Ganz hervorragend waren die Gesangssolisten ausgewählt (Jeanette Bühler, Sopran, Béla Müller, Mezzosopran, Bernhard Gärtner, Tenor, und Dominik Wörner, Bass-Bariton), ob mit unglaublicher Leichtigkeit oder - auch klangfarblich übereinstimmend - im Duett: Allesamt waren sie höchst ausdrucksvolle Solisten, und alle vier stimmten darin überein, sich nie eitel in den Vordergrund zu singen, sondern ganz delikat, fast instrumental mit den entsprechenden Instrumentengruppen zu konzertieren.
Jochen Woll interpretierte das "Stück Weltliteratur" mit starkem Gespür für den Atem des Dramatischen ebenso wie für das Sublime und dirigierte ganz unautoritär, dafür um- so gestalterischer ohne Taktstock, setzte Akzente, die ganz aus dem musikalischen Fluss gedacht waren, legte Wert auf winzige Zäsuren, die geradezu aufregend waren, und hatte seinen "Jungen Kammerchor Baden-Württemberg" bestens vorbereitet.
Selten hört man die großartigen Fugen so exakt, die Koloraturen dieses wohl schwersten Chorwerkes des Spätbarock so selbstverständlich gesungen. Hinzu kam eine bewundernswerte Einheitlichkeit und Deutlichkeit der Diktion und Vokalfärbung sowie Genauigkeit in der Silbenartikulation.
Bei aller Bemühung um eine wie auch immer zu definierende "historische Aufführungspraxis", welche das Orchester und die Gesangssolisten zu erfüllen suchten, erstaunten auf dieser Grundlage die bisweilen als im Sinne von Zelter und Nägeli fast romantisch zu empfindenden Gefühlsschattierungen im gewichtigen Chorpart. Genau diese Mischung, diese Spannung war es, die großen Beifall fand.
Der Chor glänzte nicht nur mit Sicherheit, sondern auch der gehörigen Expression, um das "Crucifixus" als Mittelpunkt des Credos zu verdeutlichen. Besonders intensiv erklangen die letzten Sätze - angesichts des Krieges im Nahen Osten erhielt das abschließende "Dona nobis pacem", die Bitte um Frieden, eine ganz besondere Dimension.

(Werner Straube)