Jazz-Missa von Peter Schindler in der Heidelberger Providenzkirche

Von Rainer Köhl

Rhein-Neckar-Zeitung, 17.09.2002

Jazz-Messen sind beliebt. Sie swingen ordentlich und klingen gemeinhin so wie für den Evangelischen Kirchentag komponiert: gut zum Mitsingen. Der Stuttgarter Komponist, Organist und Pianist Peter Schindler geht in seiner letztes Jahr komponierten "Jazz-Missa" allerdings andere Wege. Anspruchsvollere. Mitsingen kann man nicht ohne weiteres. Dafür bedarf es schon so fabelhaft ausgebildeter Chorleute, wie sie der Junge Kammerchor Baden-Württemberg vereint, für den das Werk geschrieben wurde.

Chor, Orgel, Saxofon und Percussion gehen in der Messe eine äußerst anregende, klanglich aparte Verbindung ein. Den instrumentalen, jazzenden Part übernimmt dabei Schindler mit seinem Trio "Pipes and Phones": zusammen mit dem Tenorsaxofonisten Peter Lehel und dem Schlagzeuger Markus Faller. Vertont wurde der lateinische Messetext in einem Werk, das ebenso viel musikalisches Herz wie kompositorischen Verstand besitzt. In der Heidelberger Providenzkirche war die Jazz-Missa nun mit den erwähnten Ausführenden zu hören.

Peter Schindler saugt die Messeteile keineswegs einzig mit Jazzharmonien voll. Als gut ausgebildeter Komponist kennt er die Musikgeschichte und füllt den Chorpart durch stilsicher geführte Hand mit allem Anspruchsvollen, was die Tradition hergibt. Gregorianik, Kontrapunktik und Fugiertes, Spätromantisches, Neoklassizistisches, harmonisch Modernes und Jazzmodi werden dabei nicht in stilistischer Gelehrsamkeit einzeln exponiert, sondern finden zu einer sehr anregenden Synthese.

Gregorianische Melodien formt Schindler zu prägnanten Themen, deren harmonische Modelle offen sind für verschiedene Wege. Auf das markante "Kyrie" folgt ein stimmungsvolles "Christe", das wie eine inspirierte Jazzballade daherkommt. Mitreißende Gestalt gewinnt die schwungvolle Begeisterung des "Gloria", worin der "Gratias agimus tibi"- Abschnitt visionäre Kraft erhält in einem markanten Chor-Marsch, von Jungle-Rhythmen der großen Trommel unterlegt.

So spannend sind sakraler Geist und weltliche Klanglichkeit selten verzahnt wie hier. Große Momente ergeben sich immer wieder, wenn die aparten Chorharmonien weitergetragen werden in den instrumentalen Zwischenspielen und Improvisationen. Die sehnsüchtig balladesken Chorharmonien gleiten über in nächtlich schwebende Jazzklänge, von Peter Lehel mit großem hymnischen Tenorton intensiviert.

Starke Eindrücke dominierten auch im "Credo": Wundervolle Klanggeheimnisse führte die klagende, dunkel verschattete Melodie von Lehels Bassklarinette und Schindlers Orgelharmonien dem "Crucifixus" zu, beinahe ins Ekstatische hochgesteigert fand sich das "Et exspecto ressurextionem" mit seinem dicht geflochtenen Netzwerk aus fliegenden Vokalisen der Frauen- und scharf akzentuierenden Männerstimmen sowie den inbrünstigen Eruptionen des Tenorsaxofonisten. Kunstvoll ineinander gelagerte Motive und Klangsphären, introspektive Abschnitte von tiefer Schönheit und nicht zuletzt mitreißender Drive - das ist alles sehr geschmackvoll und stilsicher, dabei ganz und gar eigenständig verarbeitet.

Unter dem engagierten Dirigat seines Leiters Jochen Woll sang der Junge Kammerchor Baden-Württemberg mit enorm viel Lust, rhythmisch-tänzerischem Elan und purer Klangschönheit, fabelhaft präzise in den heiklen Koloraturen und komplexen Klangschichtungen. Und die famosen Musiker von "Pipes and Phones" waren der zweite, improvisatorisch bestechende Garant für eine begeistert akklamierte Aufführung.