Tiefe Ruhe, intimer Reiz

Junger Kammerchor Baden-Württemberg mit Brahms-Requiem in St. Vitus

Rhein-Neckar-Zeitung, 20.11.2001

Von Rainer Köhl

"Ich habe mich der edlen Beschäftigung hingegeben, mein unsterbliches Werk auch für die vierhändige Seele genießbar zu machen. Jetzt kann's nicht untergehen. Wenn ich mir nun 30 Napoleons dafür ausbäte, so scheint mir, es hätte auch kein Schlechtster die vielen Noten dafür geschrieben oder vielmehr die wenigen aus den vielen ausgesucht." Also schrieb Johannes Brahms an seinen Verleger, nachdem er sein "Deutsches Requiem" in eine Fassung umgeschrieben hatte, die das Orchester durch einen vierhändigen Klavierpart ersetzt.

Eine simple Klavierauszug-Fassung ist dennoch nicht daraus geworden, vielmehr eine eigenständige Komposition, wobei auch die Vokalpartien teilweise umgeformt wurden. Dass Brahms dabei wenige Noten aus den vielen ausgesucht hat, ist eine Tatsache, die gerade dem Klavierpart einen ganz eigenen, sehr intimen Reiz verleiht. Das ganze Werk gewinnt in dieser Version einen veränderten, sehr innigen Charakter, welcher gerade den Momenten von Trost und Hoffnung im Angesicht des Todes ganz wunderbare und stille Wirkung verleiht.

Die Aufführung mit dem Jungen Kammerchor Baden-Württemberg unter der Leitung von Jochen Woll in der St. Vituskirche Heidelberg-Handschuhsheim machte keine Bonsai-Version aus dieser reduzierten Fassung, sondern brachte gerade die besonderen Reize dieser Partitur zum Klingen: die strukturelle Klarheit, die gedankliche Reinheit und die klanglich-musikalische Gelichtetheit. Alles Pathos, alle Schwere und Klangdicke, die man in der Orchesterfassung durchaus vorfinden kann - hier waren sie abgelegt und machten einer ätherischen Durchleuchtung Platz.

Mit dem glockenhaften, sparsamen Klavierklängen des Eröffnungssatzes, der Reinheit und Zartheit, mit welcher die Chorharmonien erfüllt wurden, schien die Musik wie aus himmlischen Sphären zu kommen.

Der Dirigent Jochen Woll entdeckte vor allem eine tiefe Ruhe in diesem Requiem, zum Tönen gebracht in langsamen Zeitmaßen und erlesen leisen Klangvaleurs. Spannung hatte die Aufführung dennoch unablässig. Und es war ein besonderer Vorzug dieser kammermusikalisch lichten Version, dass hier sehr viel mehr an feingestuften Zwischenwerten aus dem Chor herauszuholen war. Beständiges, subtil geregeltes Aufglimmen und Verglühen der Chorharmonien brachten Wirkungen hervor, die den introspektiven Geist berückend einfingen.

Fein und nuancenreich war dieses Singen, auf den eigenen Charakter jedes Satzes ganz delikat reagierend: "Wie lieblich sind Deine Wohnungen" - solche Lieblichkeit wurde wurde ganz explizit in Klang gemalt im vierten Satz. Der Trost des fünften Satzes wurde unmittelbar spürbar in unendlich verfeinerter Pianissimo-Durchleuchtung und dem stillen Schimmer des Sopransolos von Mechthild Bach, die ihren Gesang wie verführerisch sirenenhafte Vokalisen klingen ließ. Dass das Bariton-Solo im sechsten Satz ein Geheimnis offenbart, machten der herrlich lyrisch und mit schönem Timbre singende Solist Sebastian Bluth und der antwortende Chor auf ganz sublime Weise deutlich.

In dieser reduzierten Fassung wirken die dynamischen Kontraste schärfer und stärker ausgependelt. Und damit kamen auch die apokalyptischen Visionen zu starker Wirkung, auch wenn der Schrecken der Trompeten und Posaunen ausblieb. Umso kraftvoller, resonanzreicher tönte hier der Chor, die Linien wurden äußerst energiereich und konturenstark bewegt. Ganz erlesen wurde der himmlische Frieden des Schlusssatzes eingefangen: in entschwebenden, nach und nach sich auflösenden Klängen.

Sehr konzentriert, konzise ist der Klavierpart, und diesen musizierte das Klavierduo Andreas Grtau und Götz Schumacher wunderbar klangsubtil.

In die Mikrostruktur von Klang und Ausdruck leuchtete diese Brahms-Wiedergabe - ebenso wie dies György Kurtag mit Choralvorspielen von Bach unternahm. Für Klavier zu vier Händen hat er diese transkribiert, fünf davon waren eingengs zu hören: wunderbar klar und ruhig, transzendierend.