Gewässer mit Stromschnellen

Junger Kammerchor in der Leonhardskirche Stuttgart

Stuttgarter Nachrichten, 24.11.2001

Der Junge Kammerchor Baden-Württemberg führte "Ein Deutsches Requiem" in der von Johannes Brahms selbst angefertigten Fassung auf, bei der der Orchesterpart von einem Klavierduo vierhändig gespielt wird.
VON ULRICH KÖPPEN

Die rund 40 Stimmen des Jungen Kammerchors verwandelten unter der inspirierenden Leitung des Dirigenten Jochen Woll diesen andernorts mitunter recht ruhig dahinfließenden Musikstrom in ein munteres Gewässer mit etlichen Stromschnellen. Nicht nur auf Grund des Tempos, sondern des Konzepts wegen.

Alle Stimmlagen waren hell timbriert, der Bass erinnerte eher an einen Bariton, und der Sopran glänzte in fast knabenchorgleicher Klarheit, die nur an wenigen, exponiert hohen Stellen eine leichte Härte aufwies. Zusammen mit der auffällig synchronen Aussprache der Konsonanten ergab dies ein vokales Klangbild von großer Durchsichtigkeit und Lebhaftigkeit.

Stellt man das in Beziehung zum Text, so entspricht dieser Interpretationsansatz der werkimmanenten Aussage, die stärker von Seligkeit und Trost gekennzeichnet ist als von Trauer. Doch fand der Chor ebenso selbstverständlich mit vitalem Impetus zu den großen, fugierten Steigerungen des zweiten und vierten Teils und realisierte gerade in Letzterem trotz der schlanken Besetzung das Donnern der Posaunen des Jüngsten Gerichts mit fabelhafter Anschaulichkeit. Gerade diese nie akademische Klarheit des Musizierens erzielte auch durch geschärfte Konturen eine anrührende Wirkung. In dieses Konzept passten auch die beiden Solisten. Der leicht metallisch unterlegte Bariton von Sebastian Bluth strahlte mühelos, seine Sprechkultur und Differenzierungskunst verkündeten glaubhaft den "Sieg über die Hölle", ohne ins Pathetische abzugleiten. Über einen ebenso voluminösen Sopran mit brillantem Timbre und intellektuell kontrollierter Ausdruckskraft verfügt auch Mechthild Bach, doch trübten einige Intonationsstörungen den Eindruck.

Das Klavierduo Andreas Grau/Götz Schuhmacher war dem Chor ein aufmerksamer und lebhafter Partner; es stimmte außerdem die Zuhörer mit Bearbeitungen von fünf Chorälen Bachs durch Györgi Kurtág ein. Die fehlenden Orgelregister hatte Kurtág geschickt durch die Ausnutzung der höchsten und tiefsten Lagen des Flügels quasi einer Metamorphose unterzogen; dadurch wurden aus den manchmal etwas robusten Choralbearbeitungen fein ziselierte, kleine Juwelen, die unter den Händen der beiden Pianisten verhalten funkelten.