Hören und Staunen

Der Kammerchor Baden-Württemberg entdeckt Camille Saint-Saens Weihnachtsoratorium neu

Rhein-Neckar-Zeitung, 13.12.2023

Das letzte Alleluja hallt noch durch die Kirche St. Vitus in Handschuhsheim, als das Publikum schon von den Bänken aufspringt und minutenlanger Beifall ausbricht, der gar nicht mehr enden will. Jochen Woll und die Künstler haben es geschafft, innerhalb von eineinhalb Stunden die Zuhörer zu verzaubern. Der Kammerchor Baden-Württemberg und die Kurpfalzphilharmonie führen in der vollen Kirche ihre Auswahl französischer Weihnachtsmusik in perfekter Balance zwischen Chor und Orchester auf. Bereits beim ersten Kyrie eleison aus Fernand de La Tombelles Messe de Noël ziehen sie das Publikum in ihren Bann – und das ist nur die Einführung in den Abend. Schon hier beweisen die Beteiligten für sich und im Zusammenklang ihr Können. Sie stellen die Emotionen dieser besinnlichen und innig romantischen Musik dar und bringen sie dem Publikum nahe.
Dabei treffen sie genau den passenden Tonfall des Ruhig-Weihnachtlichen. Mit ihrem kristallklaren Klang gleichen sie einem Engelschor. Der Messe folgt eine kleine Auswahl an Stücken von Théodore Dubois und als Hauptwerk das Oratorio de Noël von Tombelles Lehrer Camille
Saint-Saëns. Die Werke sind in dieser Fassung zum ersten Mal überhaupt in Heidelberg zu hören.

Bandbreite der Gefühle

Den Spaß und die Leidenschaft sieht man Jochen Woll und den Künstlern auf der Bühne an – ihnen steht die Freude an der Musik ins Gesicht geschrieben. Schon nach wenigen Takten des Oratoriums ist klar, dass dies eine Weihnachtsmusik ist, die wir alle vermisst haben, ohne es zu
wissen. Bernhard Meßmer trägt an der Oboe den Anfang des Werks, er führt das Publikum in eine musikalische Welt hinein, bei der man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. Das Zusammenspiel von Chor, Orchester und den Solisten betrifft die Bandbreite der Gefühle, von Hoffnung bis Wut, die in scharfen Orchesterpassagen zum Ausdruck kommt.

Karin Schnur bringt mit der Harfe warme Farben in den Klang, der so eine beinahe magische, überirdische Qualität erhält. Auch die Solisten trumpfen mit Perfektion auf: Giorgia Cappello kommt mit ihrer glockenhellen Stimme einem Engel gleich. Gert Bachmaiers Tenor hebt in der Musik besonders das Weiche hervor; jede seiner Passagen klingt sanft durch die Kirche. Eine sehr warme Stimme bringt der Bariton Felix Rumpf mit.
Und wenn sie im Trio singen, fliegen die Harmonien so klar durch den Raum, dass nichts mehr zu wünschen übrig bleibt.

Alles in allem bringt das Konzert eine andere Art der Festlichkeit. Weniger ist mehr, scheint hier zu gelten. Die Hörer sind nur bei sich und der Musik. Das Publikum genießt dieses Gefühl und ist hellauf begeistert.

[Leonie Krause]