Singet dem Herrn ein neues Lied

Der Kammerchor Baden-Württemberg mit barocken Raumklang-Auffächerungen.

Schwäbisches Tagblatt, 20.02.2020

Vergangenen Samstag war einmal wieder der Kammerchor Baden-Württemberg zu Gast, der aktuell sein 35-jähriges Bestehen feiert. Im Auswahl-Ensemble unter Jochen Wolls Leitung kommen Sänger(innen) aus dem gesamten Land zu kompakten Probenphasen zusammen, gefördert von der Landesregierung und dem Kulturamt der Stadt Stuttgart.
2017 war der Kammerchor zuletzt in der Stiftskirchen-Motette ebenfalls am Vorabend des Sonntags Sexagesimae (60 Tage vor Ostern) aufgetreten. 550 Motettenbesucher/innen hörten ein ambitioniertes und technisch anspruchsvolles A-cappella-Programm mit Vertonungen der Lobpreis-Psalmen 98, 100, 149 und 150. „Jauchzet dem Herrn, alle Welt“ und „Singet dem Herrn ein neues Lied“.
Andrea Gabrielis „Jubilate Deo“ mit klanglich einander gegenübergestelltem Hoch- und Tiefchor gehört zu den Werken, die Ende des 16. Jahrhunderts am Dom San Marco zu Venedig das mehrchörige Musizieren begründeten: gern im Raum verteilt, etwa von diversen Emporen aus. Die venezianischen Raumklang-Experimente inspirierten die gesamte nachfolgende Barockzeit zu mehrchörigen Stereo- und Echo-Effekten.
Bei Gabrieli klangen die 16 Frauen- und zwölf Männerstimmen noch recht heterogen. Runder und harmonischer mischten sich beide Chorhälften an den gemeinsamen Tutti-Stellen. In Monteverdis „Cantate Domino canticum novum“ sangen mitunter Frauen- und Männerstimmen im Wechsel, farblich ebenfalls homogener. Berührend das abschließende leise „Miserere nobis“.
Heinrich Schütz’ „Jauchzet dem Herrn“ war sogar dreichörig aufgefächert. Um den Altar herum gruppiert, suggerierten die drei Chorgruppen einen überirdischen, unendlichen Echo-Raum: ein über Distanzen hinweg Einander-Zurufen, Antworten und in einen gemeinsamen Lobpreis Einstimmen.
Eine geschätzte und mit Respekt gefürchtete sängerische Herausforderung ist die doppelchörige Bach-Motette „Singet dem Herrn ein neues Lied“ BWV 225. Die rasanten Sechzehntel-Läufe hatten intonationssicheres Tempo, verloren aber stark an Klang und Farbe. Auch wirkten die einzelnen Stimmen hier wieder deutlich heterogener. Zuletzt drei Versionen des 98. Psalms „Singet dem Herrn ein neues Lied“ von Komponisten, die alle am Berliner Dom tätig waren oder sind. Mendelssohn wurde 1841 als Leiter des Domchors berufen. Fast genau 100 Jahre später, 1942, übernahm Hugo Distler die Leitung. Seit 2003 ist Tobias Brommann dort Kantor. Seine neotonale Psalmvertonung mit minimalistisch fluktuierenden Endlosschleifen und etwas artifiziell irisierenden Klängen ließ an Eric Whitacre denken. Hier war der Chorklang am farbigsten.
[Achim Stricker]