Mit der Präzision einer Schweizer Uhr

Kammerchor Baden-Württemberg brilliert bei Gastauftritt in Liebfrauen

Cannstatter Zeitung, 22.02.2017

Mit einem fulminanten Auftritt im Rahmen der „hora caecilia“ in der Liebfrauenkirche in Bad Cannstatt begeisterte der Kammerchor Baden-Württemberg am Sonntagabend, 19. Februar, das Publikum. Mit bemerkenswerter Souveränität spulte das 24-köpfige Ensemble unter der Leitung von Jochen Woll sein Programm „Ach Herr – Verzweifeln und Hoffen in Werken von Bach bis Reger“ ab. Wobei „ab-spulen“ eigentlich das falsche Wort ist. Denn die Intensität, Spannung und Präzision des Gesangs schlugen alle Zuhörer in der Liebfrauenkirche von der ersten bis zur letzten Minute in ihren Bann. Bis zur allerletzten Minute.

Mit ihrem A-cappella-Konzert trug das Ensemble in einer beachtlichen Dichte Werke von Johann, Jo-hann Christoph und Johann Sebastian Bach, Knut Nystedt, Johannes Brahms und Max Reger vor. Mit glasklaren Stimmen verliehen die Sängerinnen und Sänger den tiefgreifenden Gemütsregungen Verzweiflung und Hoffnung, Verzagen und Zuversicht einen wunderbar intensiven Ausdruck. Höhe-punkt des Konzerts war die extrem anspruchsvolle und ergreifende Motette „Ach, Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn“ von Max Reger, dessen 100. Todestag 2016 begangen wurde. Aber auch das „Immortal Bach“ des norwegischen Komponisten Knut Nystedt, das der Chor aus vier verschiedenen Positionen im Mittelschiff intonierte, ging unter die Haut. Mit einer bemerkenswerten Virtuosität gelang es dem Chor, in diesem Stück zeitlich versetzt zu singen und dabei sogar die ellenlangen Pianissimo-Passagen bis zum letzten Atemzug in Perfektion zu halten.

Mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks und einer scheinbar mühelos-perfekten Intonation ver-setzten die Sängerinnen und Sänger ihr Publikum mit dem gewaltigen Klangkörper ihrer Stimmen in stillschweigendes Erstaunen. Mit jedem Stück wurde deutlicher, warum der Kammerchor Baden-Württemberg längst über die Grenzen des Landes hinaus bekannt ist. Nach einer guten Stunde Ge-sang auf höchstem Niveau konnte jeder im Kirchenschiff nachvollziehen, was im ausliegenden Pro-grammheft als „außergewöhnlich und anspruchsvoll“ bezeichnet worden war.

Im Rahmen der musikalischen Reihe „hora caecilia“ von Kirchenmusiker Ulrich Hafner war der erst 1985 gegründete Kammerchor nach Liebfrauen gekommen. Eine Entscheidung, die niemand bereute. Der zweite Gastauftritt des Ensembles wird hoffentlich nicht der letzte sein. Mit dem Konzert eröffnete das Ensemble gleichzeitig das Konzertjahr 2017 in der Liebfrauenkirche. Ein fulminanter Auftakt, der Lust und Hoffnung auf mehr macht.

Thomas Wilk