Skandinavische Zeitreise

Kammerchor Baden-Württemberg gastierte in der Lukaskirche

Badische Neueste Nachrichten, 01.03.2016

Ein hochinteressantes Programm mit Chormusik skandinavischer Komponisten aus vier Jahrhunderten präsentierte der Kammerchor Baden-Württemberg in der Karlsruher Lukas-Kirche. Dirigent Jochen Woll sprach treffend von einer klingenden Zeitreise, die das Ensemble bereits neun Mal auf Konzertreise in Italien sowie im südwestdeutschen Raum vorgestellt hatte. Von den aufgeführten Werken ist wohl selbst Liebhabern von Chormusik allenfalls der Name des Komponisten Knut Nystedt ein Begriff, der 2014 im Alter von 99 Jahren verstarb. Die übrigen Kompositionen zeigten, welche Perlen an eindrucksvoller und wunderschön klingender Literatur diese Repertoire-Nische birgt. Mogens Pederson, ein dänischer Komponist des frühen Barock, veröffentlichte 1620 sein „Pratum spirituale“, aus dem die Psalmmotetten „Deus misereatur nostri“ und „Laudate Dominum“ erklangen – handwerklich ausgezeichnet gestaltete und ungemein schön klingende Musik, die ohrenfällig machte, dass auch der Norden damals regen Anteil an den kulturellen Entwicklungen Zentraleuropas nahm. August Södermans zwei Ordinariumssätze Kyrie und Osanna von 1872 bewegen sich in spätromantischer, aber durchaus eigenständiger Handschrift. Otto Olsson, einer der wichtigsten skandinavischen Chormeister des frühen 20. Jahrhunderts, schuf kurz nach 1910 sechs latwilische Hymnen, aus denen die Interpreten mit der Vertonung einer Christus-Hymne Bernhards von Clairveaux überzeugten. Aufregend gestaltete der Chor, diesmal in zwei Gruppen an den Flanken des Raumes aufgestellt, Sven-David Sandströms kühnes Klangexperiment von 1986, Henry Purcells achtstimmige Motette „Hear my prayer“ am überdrehten „Individualismus“ des späten 20. Jahrhunderts zu spiegeln: Das harmonisch bereits gewagte Original des Orpheus Britannicus durchläuft einen regelrechten Zerfalls-Prozess, um am Schluss doch noch das rettende harmonische „Ufer“ zu gewinnen. Von den Werken lebender Zeitgenossen wirkte das doppelchörige „Laudate Dominum“ zwar virtuos, aber mit seinen eher vordergründigen Jazz-Effekten („Jubi-la-la-la“) eher naiv. Ganz anderes Format hat Michael Bojesens „Pater noster“, das ebenfalls harmonische und rhythmische Elemente des Jazz verarbeitet: Der Komponist lässt hier den lateinischen Originaltext von Tutti vortragen und kontaminiert diesen mit Reflexionen über Haltung und Sinn des Betens. Zwei der großartigen Chorsätze von Knut Nystedt beschlossen das Programm. Dem herzlichen Schluss-Applaus dankten die Interpreten mit einer Psalmmotette von Otto Olsson als Zugabe. Unbestritten sind die vokalen Qualitäten des Chores, die Arbeit seines Leiters und dessen geschickte Programm-Dramaturgie. Schade nur, dass die Zuhörer weder erfuhren, wer die Soli gesungen hat, noch die Namen der Chormitglieder im Programm fand – gerade für einen Projektchor in wechselnder Besetzung wäre das doch wünschenswert.

(Hartmut Becker)