Ohr spürt die schmerzliche Spannung

Konzert – Der Junge Kammerchor Baden-Württemberg versteht es, die Zuhörer in der Michaelskirche zu überzeugen

Odenwälder Echo, 27.01.2012

Ein Gastspiel mit nachhaltigem Eindruck bot das aktuelle A-capella-Programm des Jungen Kammerchors Baden-Württemberg mit anspruchsvollen Motetten unter Leitung von Jochen Woll in der Reichelsheimer Michaelskirche.

„Chormusik vom Feinsten, Qualität garantiert!“ versprach Kantor Matthias Ernst [...] den zahlreichen Besuchern [...] in seiner Begrüßung. Und er hatte nicht übertrieben. Was der Junge Kammerchor Baden-Württemberg unter der Leitung von Jochen Woll in der nächsten knappen Stunde zu Gehör brachte, erfüllte höchste Ansprüche.
Der intensive musikalische Spannungsbogen entstand durch die unterschiedliche Umsetzung der fünf verschiedenen Komponisten; er reichte vom Barock bis in die Gegenwart. Die inhaltsschweren Texte beschäftigten sich mit Verzweiflung, Tod, Trost und Zuversicht.
„Die mit Tränen säen“ – die erste Zeile des David-Psalms war titelgebend für das Konzert. [...] Zunächst erklang das Werk von Heinrich Schütz (1585-1672) „Die mit Tränen säen werden mit Freuden ernten“. Im Schaffen dieses Komponisten „steht das Wort im Vordergrund, die Musik dient ihm, unterstreicht es, ergänzt es, legt es aus.“ [...]
Eine „Umsetzung in unsere Tonsprache“, komponiert von Jochen Woll (geboren 1959) selbst, interpretierte den gleichen Psalm gebrochener, mit Dissonanzen und fallenden Tonfolgen. Auch da findet sich Harmonie erst in der hoffnungsfrohen, stark rhythmisierten Schlusszeile. Diese moderne musikalische Textauslegung imponierte mit aufwühlender Ausdrucksstärke.
Max Regers (1873-1916) Motette „O Tod, wie bitter bist du“. Jochen Woll beschrieb sie als „ungeheuer intensive Anklage.“ [...] Das kontrastreiche Werk fasziniert durch spätromantische Harmonik, die durch Chromatik, dissonanzreiche Akkorde und überraschende harmonische Fortschreitungen gekennzeichnet ist. [...] Das Ohr spürt die schmerzliche Spannung und findet erst im Schlusschoral die Auflösung, die beruhigt und tröstlich auffängt in der Textzeile „Oh Tod , wie wohl tust du!“
Nach einer kurzen Pause für den Chor und zum Innehalten für die Zuhörer dirigierte Jochen Woll die berühmte Motette von Johannes Brahms (1833-1897) „Warum ist das Licht gegeben“. Weicher, melodischer, breit fließender Chorklang berührte und ergriff die Zuhörer. „Der Tod ist mir Schlaf worden“ – dieser Trost erklang schmeichelnd und sanft.
„Jesu, meine Freude“ [...] von Johann Sebastian Bach [...] vermittelt die Abkehr von den weltlichen Dingen und die Hinwendung zum Geist Jesu, der über alle Traurigkeit triumphiert: „Dennoch bleibst du auch im Leide, Jesu meine Freude.“ Mit seiner klaren musikalischen Struktur setzte das wunderbare Werk von Bach den versöhnlichen Schlusspunkt des Konzerts.
Mit nicht enden wollendem Applaus bedachten die Zuhörer die exzellente Leistung der 14 Sängerinnen und neun Sänger und deren transparenten Chorklang. Sie hatten sich der Herausforderung der durchweg anspruchsvollen und schwierigen Motetten gestellt und sie bravourös gemeistert. „Es gibt keine Zugabe – dem Bach ist nichts hinzuzufügen!“, konstatierte Jochen Woll, der einmal mehr mit Leib und Seele dirigierte [...].