Verzweiflung und Zuversicht

Junger Kammerchor mit Motetten

Stuttgarter Zeitung, 26.09.2006

Eines ihrer aktuellen Programme, das Jochen Woll und der Junge Kammerchor Baden-Württemberg bei einem Konzert in der Leonhardskirche vorgestellt haben, befasst sich
mit Grundlegendem. Es geht um Verzweiflung und Zuversicht und dies aus der Perspektive hauptsächlich alttestamentlicher Texte. Und man merkte beim Hören und Mitlesen mal wieder, wie sehr es sich doch lohnt, sich diese Texte gründlich anzuschauen.

Denn es sind dort Fragen formuliert, auf die es bis heute keine Antworten gibt. Diese
Fragen sind immer noch offene Wunden, und sie werden es bleiben. Denn es ist die Musik, die zu diesen Texten geschrieben wurde, die bewirkt, dass der Schmerz bleibt. „Warum ist das Licht gegeben dem Mühseligen?“ heißt es in jener Passage aus dem Buch Hiob, die Brahms für seine gleichnamige Motette als zentralen Text ausgewählt hatte.

Von der gesanglichen Darstellung und der Klarheit der Textausdeutung her war
dieses Stück einer der interpretatorischen Glanzpunkte des Abends: Jochen Woll und
der Kammerchor formten die Dramaturgie des Stückes sehr klar und ansprechend aus,
von der permanent wiederkehrenden „Warum“- Frage zu Beginn – bis hin zu dem
zuversichtlichen und dennoch so merkwürdig gebrochen wirkenden Choralsatz am
Schluss. Diese Gebrochenheit fand ihre konsequente und weit darüber hinausführende
Fortsetzung in Charles Ives’ Vertonung des 67. Psalms, dessen ambivalenten, hintergründig bebenden Tonfall der Chor beeindruckend realisierte.

Fraglich dagegen blieb, ob es sich wirklich lohnt, ein Stück wie Knut Nystedts „Immortal Bach“ aufzuführen. Natürlich ist das Stück, das Bachs „Komm süßer Tod“ klanglich und zeitlich aufsplittet und bis zur Auflösung hin zerdehnt, irgendwie noch halbwegs modern. Es wird dabei jedoch nicht klar, was Knut Nystedts Verfahren für Rückschlüsse zulässt auf Bachs Musik, geschweige denn, dass sie auf ein neues Hören der Musik Bachs hinarbeiten würde.

Der zweite Glanzpunkt neben der Brahmsmotette gelang dem Kammerchor dann am Schluss mit Regers „Ach, Herr, strafe mich nicht in Deinem Zorn“, einem Stück, das alle Abgründe und Herrlichkeiten des Glaubens bündelt in einem großen dramatischen Zusammenhang.

(Stephan Turowski)