Geistiger Genuss nicht nur für Kenner

Der Junge Kammerchor Baden-Württemberg bot in der Heidenheimer Michaelskirche Vokalkunst auf ganz hohem Niveau

Heidenheimer Zeitung, 10.10.2006

Chormusikfreunde kamen am Sonntagabend in der Michaelskirche in Heidenheim voll auf ihre Kosten. Der Junge Kammerchor Baden-Württemberg bot wieder einmal hohe Vokalkunst mit einem erlesenen Programm.
,,Der Geist hilft” hieß das Motto, und Dirigent Jochen Woll zeigte gleich zu Beginn bei der Motette ,,Warum ist uns das Licht gegeben” von Johannes Brahms ein ebenso einfühlsames wie forderndes Dirigat. Der Chor konnte in der nach Bachscher Tradition gestalteten mehrsätzigen Motette sein Können beweisen. Warm glänzende Soprane, lichte Alt-Partien, klangstarke, offene Tenöre und subtil arbeitende Bässe überzeugten in der bestrickenden Klanglichkeit des Werkes.
Trotz leichter Unsicherheiten bot der Chor in Johann Sebastian Bachs Motette ,,Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf” Virtuosität wie Begeisterung. Die Aufteilung in zwei Chöre erforderte vom Dirigenten enorme Konzentration, doch Jochen Woll meisterte dies souverän, und die Choristen boten ein exquisites Klangerlebnis. Der bestechend schöne vierstimmige Schlusschoral ,,Du heilige Brunst, süßer Trost” setzte mit seinen herrlichen Melodiebögen einen feinsinnigen Kontrast zu dem achtstimmigen Beginn.
Einen choristischen Leckerbissen bot der Junge Kammerchor wiederum mit Knut Nystedts ,,Immortal Bach”. Dazu verteilten sich die Choristen in vier Chöre im Kirchenraum. Nach dem original intonierten ,,Komm süßer Tod, komm sel’ge Ruh” aus Bachs Schemelli-Gesangbuch kamen die Stimmen von der Empore und verwoben sich mit den anderen Chören zu harmonischen Klangflächen und durchsichtigen akkordischen Strukturen von einer bewegenden Zartheit. Hier zeigte sich der Chor mit seinen Fähigkeiten zu sicheren Intonation und Phrasierung, aber auch zu fein gestalteter Dynamik. Nystedts Gedanke, die Bachsche Grundmelodie beizubehalten und auszugestalten zeugt von seiner Hochachtung für den Thomaskantor, was vom Chor glänzend umgesetzt wurde.
Mit Charles Ives ,,Sixty-Seventh- Psalm” folgte ein achtstimmiges Schwergewicht, welches hohe Taktsicherheit und präzises Intonieren erforderte. Auch hier zeigte der Chor präzise Stimmführung. Und bei Felix Mendelssohn-Bartholdys ,,Psalm 22” konnten die Solisten zeigen, was der Chor für stimmliche Schätze birgt.
Der warme timbrierte Tenor von Stefan Weckesser glänzte besonders zu Beginn bei ,,Mein Gott, warum hast du mich verlassen?”. Michael Hauschs fundierter Bass beeindruckte ebenso wie die feinsinnige Altstimme der Heidenheimerin Doris Elsenhans und der strahlende, offene Sopran von Susanne Doll.
Als glorioser Schlusspunkt des bestechend schönen Konzerts kam Max Regers anspruchsvoll ausgreifende Psalmenmotette ,,Ach Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn”. Das komplizierte chromatische Klangbild mit den vielfachen Stimmteilungen wurde mit enormer Präzision zu einem inspirierenden wie bewegenden Klangerlebnis. Nicht das hohe sangestechnische Können, auch die Emphase und Begeisterung der Mitwirkenden für die Chorkunst war aus diesem Stück ebenso herauszuhören wie beim gesamten Konzert.
Ein ,,in seiner Fülle erdrückendes Programm”, wie es Jochen Woll vor der Reger-Zugabe bezeichnete, war es dennoch nicht. Es war ein geistiger Genuss, nicht nur für Kenner.

Hans-Peter Leitenberger