Die Kunst der Entschleunigung

Der Junge Kammerchor mit A-cappella-Werken in der St. Vituskirche in Heidelberg

Rhein-Neckar-Zeitung, 25.09.2006

Das Menschsein ist Verzweiflung und Zuversicht – und dieser Wechsel wurde thematisiert beim Konzert des Jungen Kammerchors Baden-Württemberg unter der Leitung von Jochen Woll in St. Vitus in Heidelberg-Handschuhsheim.

Das Motto „Der Geist hilft“ und die zu hörenden Chorwerke verdeutlichten den hohen Anspruch dieses Vokalensembles. Brahms’ „Warum ist das Licht gegeben den Mühseligen“ (op. 74,1) zeigte die Stärken des Chores: Textsicherheit mit einem Höchstmaß an Genauigkeit in Phrasierung und Artikulation, ein weitestgehend homogener, schlanker Gesamtklang und eine hohe dynamische Intensität.

Jochen Woll hat hier ein Ensemble etabliert, dessen stimmliche Mischung aus Reife und Jugendlichkeit genau für diese Art von Musik geschaffen ist. Gerade bei Brahms schaffte es Woll mit beinah quälender Langsamkeit, alle Mühseligkeit und Betrübnis der Textaussage durch die Musik zu vermitteln. Ähnlich überzeugend gerieten Mendelssohns „Psalm 22“ im Wechsel von Solo-Quartett und Chor sowie Regers „Ach Herr, strafe mich nicht“ (op. 110, 2), das in seiner freien, schwebenden Chromatik tonale Konturen fast verschwimmen ließ.

Wackelte es hier gelegentlich in der Intonation, so vermittelte der Chor insgesamt eine innere Konzentration, die in den folgenden Werken noch gesteigert wurde. Bachs „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf“ (BWV 226) atmete die frohe Zuversicht, mit der der christlich barocke Geist dem Tod begegnet. Getupft, leicht (fast schon zu leicht) und mit langem Atem, schwebten die Stimmen des Doppelchores nebeneinander und leuchteten mit farbiger Transparenz.

Wolls behutsames Dirigat betonte den Wechsel der Chöre, das zarte Miteinander, das Ineinanderfließen von Wort und Musik, was auch im modernen Programmteil besonders deutlich wurde. „Immortal Bach“, eine Komposition des Norwegers Knut Nystedt, war ein Highlight des Abends und ebenso einfach wie genial: Bachsche Choräle, die von den zu beiden Seiten des Kirchenschiffes stehenden Chören mit versetzten Tempi gesungen wurden, ergaben clusterähnliche Klänge, die verzauberten. Charles Ives’ „67. Psalm“ ordnete sich mit einem wahren Klangrausch treffend in die Programmfolge ein, ein beeindruckender Klangzauber, den der Chor mit sichtlicher Spannung genoss.

(Erik Buchheister)