Dramatisch erfüllte Zeit

Stuttgarter Nachrichten, 26.03.2002

Junger Kammerchor in der Leonhardskirche. - In den Kreis der diesjährigen Stuttgarter Johannes-Passionen warf auch der Junge Kammerchor Baden-Württemberg seinen Hut: Unter der Leitung von Jochen Woll erreichte der Chor in der Leonhardskirche eine nach außen wie nach innen geschlossene Wiedergabe.

Nach außen: Man musizierte das Werk ohne Kürzungen. Nach innen: Es gab nicht eigentlich Höhepunkte, weil die dramatische Erfüllung dieser Interpretation sich auf durchweg beispielhafter Höhe befand. Die etwa dreißig Sängerinnen und Sänger addierten sich zu einem mit plastischer Gestaltungskraft singenden Instrument, das sehr flexibel reagierte. Der alles verknüpfende Bericht des Evangelisten war bei Andreas Weller bestens aufgehoben. Sein leicht geführter Tenor zeigte bei aller erzählenden Distanz doch bewegte Anteilnahme. Thomas Ogilvie gab dem Jesus Gestalt und Profil. Markus Müller aus Freiburg hatte kurzfristig die Arien und die Pilatusworte übernommen. Er sang sie mit gewichtigem Klang.

Jeanette Bühler und Michaela Singendonk zeichneten ihre Arien sehr verinnerlicht und doch mit aufglühenden Farben. An den Orchesterpulten saß in bewährter Weise die Sinfonietta aus Tübingen, die mit Verve und intensiver Tongestaltung allen Nuancen der Partitur nachging und auch bei den obligaten Soli und im Bereich des Continuos keinerlei Schwächen zeigte. Jochen Woll zeigte eine ungewohnte Körpersprache beim Dirigieren, doch wurde sein Schlag detailgenau gedeutet. Eine Aufführung, die durch ihre Wahrhaftigkeit überzeugte und bewegte. Es war schön, dass der Applaus sich erst nach langer gespannter Stille entlud.

Wolfgang Teubner