Junger Kammerchor Baden-Württemberg zu Gast in Gärtringen: Werke aus vier Jahrhunderten

Erhaben und doch springlebendig

Gäubote, 26.06.2000

Zum zweiten Male innerhalb von sechs Tagen war Gärtringen Schauplatz eines bemerkenswerten Konzertes. Am Freitagabend war der Junge Kammerchor Baden-Württemberg in der St.-Veit-Kirche mit seinem neuen Programm “Das Lied der Lieder” zu Gast, das er seit Anfang Juni in mehreren Orten Italiens, in Wildbad, Heidelberg und Stuttgart vorstellt.

von Ulrich Eissler

Die Musikfreunde erhielten damit die Gelegenheit, ein anspruchsvolles Programm von einem der herausragenden Kammerchöre mitzuerleben.

Die ausgewählten Choristen aus ganz Baden-Württemberg hatten unter ihrem Leiter Jochen Woll Kompositionen aus vier Jahrhunderten einstudiert, die sich alle mit Texten aus dem biblischen hohen Lied Salomons beschäftigen. Diese Dichtung hat immer wieder wegen ihrer hellen, farbigen und ausdrucksstarken Sprache und wegen der darin verwendeten plastischen und lebendigen Bilder große Komponisten aller christlichen Kulturen angezogen. Große Namen verbinden sich in der Chorliteratur mit dem Hohen Lied der Liebe.

Der Junge Kammerchor begann mit Leonhard Lechners (1553 bis 1606) Vertonung für Chor zu vier Stimmen, einer erhabenen, dichten und trotzdem springlebendigen Musik. Jochen Woll gelang es, ein hauchzartes und ungemein schön gesponnenes Ton-Netz ohne jeden Bruch mit leidenschaftlichen und kraftvollen Ausdrücken zu verbinden. Eindrücklich das zarte Piano “Du bist schön” in Vers 15 (Kapitel 1) oder die gekonnte Entwicklung vom zurückhaltenden Piano zum kräftigen Forte in Vers 6 (Kapitel 2) “Seine Linke liegt unter meinem Haupte”. . .

Akribische Leitung

Diese ausgesprochen hoch stehende Chorkultur - mit einem exakt, fast akribisch dirigierenden Leiter und einem höchst konzentriert und diszipliniert singenden Chor, konnte man in immer neuen Nuancen in den folgenden Werken miterleben.

Aus dem Portugal des 16. Jahrhunderts waren zwei Chöre von Estevao de Brito zu hören. Die USA waren mit zwei Chören von William Billings (18. Jahrhundert) vertreten, der fröhlich dahin- eilend oder fast hymnisch erhaben über die Liebe erzählt. Der Brite Edward Bairstow (1874 bis 1946) lässt die Szene unter dem schattigen Apfelbaum lebendig werden, während der Kanadier Stephen Chatman (geboren 1950) vorsichtig neue Klangfarben für die alten Texte einsetzt.

Klangräumen verpflichtet

Yehezkel Braun (geboren 1922) aus Israel bleibt auch mit seiner deklamatorischen Art gewohnten Klangräumen verpflichtet, während der berühmte Pablo Casals (gestorben 1973) aus seiner Vorliebe zur Romantik mit seinem Chor “Nigra sum” kein Geheimnis macht.

Der Organist Peter Lauterbach war mit einer Choralfantasie über “Wie schön leuchtet der Morgenstern” von Dietrich Buxtehude und einer barocken Suite von J. A. Gilles zu hören. Er nutzte die Möglichkeiten der Gärtringer Orgel voll aus und hatte den Mut, den im Programm vorgesehenen Cesar Franck wegen des fehlenden Schwellwerkes abzusetzen.

Beifall nach jeder Nummer

Der hervorragende Chorabend - leider vom Publikum mit ständigem Beifall nach jeder Programmnummer unterbrochen wurde mit der Wiederholung des Chors von Bairstow beschlossen.