Das Lied der Lieder

Junger Kammerchor Baden-Württemberg in Providenz

Rhein-Neckar-Zeitung, 28.06.2000

von Werner Straube

“Musik zum Hohen Lied Salomonis aus verschiedenen Zeiten und Ländern” bot in der Heidelberger Providenzkirche der Junge Kammerchor Baden-Württemberg. Sein Leiter, Jochen Woll, verfügt ganz offensichtlich über eine starke Ausstrahlung auf die für dieses Projekt ausgewälhte Schar von 14 Sängerinnen und sieben Sängern und hat es vermocht, in allen Stimmlagen, ob im vierstimmigen oder achtstimmigen Satz, einheitliche Klangvorstellungen zu vermitteln, die sich zu einem homogenen, sehr durchsichtig-klaren Gesamteindruck des Vokalensembles fügen. So konnte er sich durch sein sehr wohl ausdrucksvolles und körperbetontes, aber nicht übertriebenes Dirigat während der Aufführung darauf beschränken, klare rhythmische Vorstellungen vorzugeben, einzelne Phrasen dynamisch und plastisch zu formen und sie in den Gesamtzusammenhang der jeweils interpretierten Werke einzuordnen.

Die Programmauswahl war, was oftmals heutzutage keine Selbstverständlichkeit ist, sehr wohl durchdacht. Zwei Beiträge des Organisten Peter Lauterbach, vordergründig zu begreifen als Entspannungsphasen für den Kammerchor, waren beeindruckend. Besonders die sehr subtile Interpretation des zweiten Satzes (“Der Garten des Eros”) aus Psyché. Poéme symphonique" (op. 47) für Orchester und Chor von César Franck, in einer Bearbeitung für Orgel von G. Sandre, passte thematisch hervorragend in den Gesamtzusammenhang, besingt doch das Hohelied Salomos, das “Lied der Lieder”, wie es im hebräischen Urtext heißt, die Liebe eines “Geliebten” und seiner “Freundin” als ein Suchen und Finden, Getrenntsein und Wiederfinden.

Sehr delikat und vor allem hörerorientiert waren die Vokalwerke zusammengestellt sei es in der abwechslungsreichen Abfolge von heiteren und reflektierenden Kompositionen, sei es als Angebot im heutigen Konzertbetrieb, emotional tief Berührendes auch von weniger bekannten Tonkünstlern kennenzulernen. Der in Süddeutschland tätige Leonard Lechner (1553-1606) ist ein wichtiger Zeuge für die Tatsache, dass gerade in der Spätrenaissance sich die Komponisten vom Text des Hohelieds inspirieren ließen. Unverkennbar waren in diesen, Eröffnungsstück Elemente des italienischen Madrigals, war doch Lechner Schüler von Orlando di Lasso.

Die nachfolgenden zwei Kompositionen entführen die Zuhörer auf die iberische Halbinsel: Estevao de Brito (1597-1641) war Kapellmeister an den Kathedralen von Badajoz und Málaga, William Billings (1746-1800) war gelernter Gerber und autodidaktisch geschulter Komponist, erfolgreich auch als Lehrer für Chorgesang in den USA. Die zwei Beiträge von ihm an diesem Abend zeugten von seinem Talent für ausdrucksvolle Melodien und Sinn für bewegten Rhythmus. Es folgte harmonisch reizvoll, ansonsten eher ruhig ganz dem Text entsprechend - und kompositorisch recht konservativ ein Beitrag des Engländers Edward C. Bairstow (1874-1946). Der Kanadier Stephen Chatman (Jahrgang 1950) war ebenso vertreten wie der spanische Cellist Pablo Casals mit einer neoromantischen Motette.

Eindrucksvoll geriet die deutsche Erstaufführung von “Cantici canticorum” (3- Kapitel) des israelischen Komponisten Yehezkel Braun (Jahrgang 1922); das mehrteilige Werk vereint ausdrucksstark und farbig Elemente der Gregoriarük und traditionell jüdischer Musik.

Der Junge Kammerchor und Jochen Woll verhalfen all diesen Kompositionen, die geprägt sind von der Kraft der alttestamentarischen Liebeslyrik, auf sehr hohem Niveau und mit klaren textverdeutlichenden Interpretationen zu großer Wirkung. Als Dank für den reichen Beifall erklang nochmals Bairstows “I sat down under bis shadow”.